Trotzburg

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Alias: Die belagerte Stadt
Art: heftiges Rollenspiel um eine belagerte mittelalterliche Stadt
Ziel: die Teilnehmerinnen für gruppendynamische Prozesse, Entscheidungsfindung in Grup- pen, Sündenbockmechanismen und den Umgang mit Konflikten sensibilisieren
Dauer: 1,5–2 Stunden (10 Minuten Vorbereitung, 1 Stunde Spiel, 20–50 Minuten Auswer- tung)
Wir brauchen dazu: Stuhlhalbkreis (Podium) mit 5 Plätzen, Kopien der Rollenbeschreibungen (ab Seite 61) für die 5 Spielerinnen, Kopien der Auswertungsbögen für die Beobachterinnen (Seite 60)

So geht es: Fünf Spielerinnen aus der Gruppe erhalten – am besten einige Zeit vor dem Spiel – ihre Rollenbeschreibungen. Sie spielen fünf Bu ̈rger einer mittelalterlichen Stadt: Bürgermeister, Arzt, Krankenpfleger, Wächter und Schmied.

Die anderen Spielerinnen übernehmen im folgenden Spiel eher passive Rollen: Sie beobachten und dokumentieren den Spielverlauf. Die fünf Spielerinnen werden angewiesen, ihre Rollen genau zu studieren und die Informationen auf keinen Fall einer anderen Person mitzuteilen.

Die Spielleitung sollte in Rollenspielen unerfahrene Spielerinnen darauf hinweisen, dass sie versuchen sollen, sich gut in die beschriebene Rolle einzufühlen und im Spiel stimmig zu agieren. Sich in die Rolle einzufühlen bedeutet auch, die Rolle entsprechend auszubauen und sich zu überlegen, welche Informationen von seiner Rolle man im Spiel sofort, später oder überhaupt nicht preisgibt.

Die Spielleitung teilt der Gruppe kurz das Szenario mit:
Die mittelalterliche Stadt Trotzburg wird von den Hochbergern belagert. Sie beschuldigen die Trotzburger, einen Kaufmann umgebracht zu haben und fordern innerhalb einer Stunde die Auslieferung der schuldigen Person.
Die Spielleitung kann der Gruppe auch gleich zu Beginn den Zweck des Spieles erläutern: Es geht darum, Verhaltensweisen zu studieren, die in jeder Gruppe oder Gesellschaft ablaufen können, die aber in einer ausweglosen Situation wie in diesem Spiel besonders deutlich hervortreten. Daher sollten die Zuschauerinnen das Verhalten der Spielerinnen beobachten und auf den Auswertungsbögen dokumentieren (Seite 60).

Sinnvoll ist es auch, einzelnen Zuschauerinnen bestimmte Spielerinnen zuzuordnen, so dass nicht alle alles beobachten.

Für die Spielerinnen wird eine Art kleiner Bühne vorbereitet, die zu den Zuschauerinnen hin offen ist, so dass der Spielverlauf gut beobachtet werden kann.
Nachdem die Vorbereitungen abgeschlossen sind, wird die Beratung der fünf Beteiligten gespielt, in der entschieden werden muss, wer den Hochbergern als Schuldiger ausgeliefert werden soll.
Es wird relativ schnell passieren, dass den fünf Bu ̈rger die Idee kommt, mit den Hochbergern zu reden. Wenn die Spielerinnen im Spiel auch weitgehend frei in ihren Entscheidungen ist: Die Forderung der Hochberger ist klar ausgesprochen, und sie werden auch nicht davon abrücken. Ebenso werden sie nach genau einer Stunde die Stadt stürmen und niederbrennen, wenn nicht ein Schuldiger ausgeliefert wird. Auch eine Verteidigung ist fu ̈r das arme Sta ̈dtchen Trotzburg nicht denkbar oder sinnvoll.

Besondere Hinweise: Wie andere Rollenspiele mit einer starken Dynamik kann auch Trotzburg weit über den Rahmen des Spiels hinausgehen und zu Wut, Ohnmachtsgefühlen o.Ä. übergehen. Die Spielleitung sollte auf jeden Fall deutlich machen, dass die gespielte Entwicklung der Beratung nicht von speziellen Personen abhängig ist, sondern in allen Gruppen so ähnlich ablaufen wird.

Dieses Spiel hat die Form eines Entscheidungsspiels, ist aber der Sache nach eine Experiment, und man sollte es auch so vor der Gruppe bezeichnen. Denn die Situation ist so konstruiert, dass eine Entscheidung gegen den Sündenbock-Mechanismus kaum mehr möglich ist. Denkbar wäre höchstens, dass alle fünf sich stellen – was praktisch nie vorkommt, weil mindestens eine sich weigert und ihre Unschuld beteuert, – oder dass die Auszuliefernde ausgelost wird, nachdem alle eingesehen haben, dass sie mitschuldig sind.

In der Regel wird heftig gekämpft – meist mit unsachlichen Argumenten –, bis schließlich einer, bei der es am leichtesten geht, alle Schuld zugeschoben wird.

Bisher habe ich folgende brauchbare Lösungen kennen gelernt:
• Die Spielerinnen erzählen alle wahrheitsgemäß ihre Geschichte und stellen dabei fest, dass alle eine Teilschuld trifft. Sie losen aus, wer ausgeliefert wird. Die restliche Zeit nutzen sie, um eine alternative Lösung zu finden.
• Es wird ein Gefangener aus dem Kerker ausgeliefert, der ohnehin hingerichtet werden sollte (eine sehr kreative Lösung).

Wann einsetzen: um die Teilnehmerinnen fu ̈r Kommunikation, Entscheidungsfindung und Gruppenverhalten zu sensibilisieren

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Oliver Klee
Oliver Kleehttp://www.spielereader.org/
Oliver Klee lebt und arbeitet in Bonn. Er gibt Workshops zu Methodenthemen wie Train-the-Trainer, Konfliktmanagement oder Zeitmanagement, zu IT-Themen wie Softwarearchitektur oder Web-Security, und zu Entspannungsmassage und Rangeln. Auf seinen Seminaren wird grundsätzlich sehr viel gespielt, und ein Plüschelch spielt auch oft eine zentrale Rolle.

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über mich

Daniel
Hallo, schön, dass du hier vorbeischaust. Ich bin der Kopf hinter dem Jugendleiter-Blog und bin seit über 10 Jahren in der Jugendarbeit aktiv, habe viele Jahre einen Verband geleitet und blogge hier über meine Erfahrungen aus mehr als 100 Freizeittagen und 200 Gruppenstunden. Meine besten Spiele und Ideen sind als Bücher erschienen.

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