Jugendarbeit lebt von Nähe, Vertrauen und starken Beziehungen. Kinder und Jugendliche öffnen sich dort, wo sie sich sicher fühlen, und entwickeln Bindung zu ihren Leiter*innen. Genau in solchen Momenten können aber auch sensible Situationen entstehen: Nähe und Distanz müssen bewusst gestaltet werden, Grenzen gilt es zu achten und einzuhalten. Kinderschutz bedeutet daher mehr als nur aufzupassen. Es geht darum, klare Strukturen zu schaffen, die Kinder vor Grenzverletzungen schützen und Leiter*innen Orientierung geben.
Ein Kinderschutzkonzept ist dabei ein zentrales Werkzeug. Es schafft Verbindlichkeit, stellt sicher, dass im Ernstfall alle wissen, wie zu handeln ist, und signalisiert Eltern und Kindern: „Hier seid ihr sicher.“ So entsteht ein Rahmen, der Vertrauen stärkt und die Grundlage für gelingende Jugendarbeit legt.
Was ein Kinderschutzkonzept leisten soll
Ein Schutzkonzept ist kein bürokratisches Dokument, das man aus Pflichtgefühl erstellt. Es ist vielmehr ein Leitfaden, der den Alltag in der Jugendarbeit prägt. Es macht Prävention möglich, sorgt für Verbindlichkeit im Team und schafft Klarheit für alle Beteiligten.
Die Erfahrung zeigt: Risiken lassen sich nie ganz ausschließen, aber sie lassen sich deutlich verringern, wenn Regeln klar formuliert und allen bekannt sind. Ein Konzept gibt außerdem Sicherheit, wenn doch ein Verdachtsfall auftritt. Statt hektisch und unsicher zu reagieren, können Jugendleiter*innen dann auf klare Abläufe zurückgreifen. Und nicht zuletzt ist ein Schutzkonzept ein wichtiges Signal nach außen. Eltern, Kinder und Kooperationspartner erkennen daran, dass der Schutz ernst genommen wird und die Jugendarbeit professionell arbeitet.
Rechtlicher Rahmen
Kinderschutz ist nicht nur eine Frage von Haltung, sondern auch gesetzlich verankert. Besonders wichtig sind die Bestimmungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Dort ist etwa festgelegt, dass bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung gehandelt werden muss und dass Personen mit einschlägigen Vorstrafen nicht in der Jugendarbeit tätig sein dürfen.
Auch das Jugendschutzgesetz spielt eine Rolle, zum Beispiel bei Fragen rund um Alkohol, Tabak oder die Altersangemessenheit von Programmen. Schließlich greift auch das Strafgesetzbuch mit klaren Vorgaben, wenn es um Misshandlung oder sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen geht.
Jugendleiter*innen müssen keine Jurist*innen sein – aber sie sollten wissen, dass ihr Handeln rechtliche Konsequenzen hat. Ein Schutzkonzept übersetzt die rechtlichen Grundlagen in verständliche Regeln für den Alltag und gibt Leitplanken, an denen sich das Team orientieren kann.
Für Jugendleiter*innen sind vor allem folgende Grundlagen wichtig:
- SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz)
- § 8a: Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung – Jugendleiter*innen und Träger sind verpflichtet, bei Verdachtsfällen tätig zu werden und ggf. das Jugendamt einzuschalten.
- § 72a: Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen – nur Personen ohne bestimmte Vorstrafen dürfen in der Jugendarbeit eingesetzt werden. Darum müssen erweiterte Führungszeugnisse regelmäßig vorgelegt werden.
- Jugendschutzgesetz (JuSchG)
- Regelt unter anderem den Konsum von Alkohol und Tabak.
- Definiert Altersgrenzen für Veranstaltungen und Medien.
- Verpflichtet Veranstalter*innen, ein altersgerechtes und sicheres Umfeld zu schaffen.
- Strafgesetzbuch (StGB)
- § 225: Misshandlung von Schutzbefohlenen.
- § 174: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen.
- § 176: Sexueller Missbrauch von Kindern.
- Alle Jugendleiter*innen müssen wissen: Jede Grenzverletzung kann strafrechtliche Folgen haben.
- Datenschutz (DSGVO und StGB § 203)
- Informationen über Kinder müssen vertraulich behandelt werden.
- Bei Verdachtsfällen ist abzuwägen, welche Daten an wen weitergegeben werden dürfen.
Kindeswohlgefährdung verstehen
Der Begriff Kindeswohlgefährdung klingt zunächst abstrakt, beschreibt aber sehr konkrete Gefahren. Kinder können vernachlässigt, körperlich oder seelisch misshandelt, sexuell ausgebeutet oder in ihrer Entwicklung behindert werden. Solche Gefährdungen zeigen sich in unterschiedlichen Formen: ein Kind, das zu wenig Fürsorge erfährt; ein Jugendlicher, der regelmäßig beschimpft und entwertet wird; ein Mädchen, das gegen seinen Willen berührt wird.
Wichtig ist: Nicht jede Grenzverletzung ist sofort eine Straftat. Aber auch kleinere Übergriffe – etwa das Betreten eines Zeltes ohne Anklopfen oder das Erzählen sexistischer Witze – sind problematisch, weil sie das Recht der Kinder auf Unversehrtheit verletzen. Für Jugendleiter*innen bedeutet das: hinsehen, sensibel sein und das eigene Verhalten immer wieder reflektieren.
Prävention im Alltag
Kinderschutz beginnt lange bevor ein Verdachtsfall eintritt. Prävention bedeutet, Risiken bewusst zu minimieren. Das fängt bei der Auswahl der Leiter*innen an: Wer in der Jugendarbeit Verantwortung übernimmt, sollte nicht nur fachlich qualifiziert, sondern auch persönlich geeignet sein. Dazu gehört die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses, regelmäßige Schulungen und eine Einführung in die Schutzkonzepte des Vereins oder Verbandes.
Ein wichtiger Baustein ist ein klarer Verhaltenskodex. Er beschreibt, wie Nähe und Distanz gestaltet werden sollen, wie man respektvoll kommuniziert und wo Grenzen zu ziehen sind – sei es beim Trösten, in sozialen Medien oder beim Thema Körperkontakt.
Beispiel: Verhaltenskodex für Jugendleiter*innen
Als Jugendleiter*in trage ich Verantwortung für die mir anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Ich verpflichte mich, diesen Kodex einzuhalten, um ihr Wohl, ihre Rechte und ihre Würde zu schützen.
1. Grundhaltung
Ich achte jedes Kind und jeden Jugendlichen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung oder Behinderung.
Ich respektiere ihre persönliche Würde, ihre Intimsphäre und ihre Grenzen.
Ich bin mir meiner Vorbildfunktion bewusst und handle verantwortungsvoll.
2. Nähe und Distanz
Ich achte auf einen respektvollen Umgang mit körperlicher Nähe. Trösten, Berühren oder Umarmungen geschehen nur mit Zustimmung der Kinder oder Jugendlichen.
Situationen, die missverständlich wirken könnten, vermeide ich bewusst (z. B. allein mit einem Kind in abgeschlossenen Räumen, gemeinsames Duschen).
Bei Übernachtungen oder Freizeiten halte ich klare räumliche Trennungen zwischen Betreuer*innen und Kindern ein.
3. Sprache und Kommunikation
Ich achte auf eine wertschätzende Sprache. Beleidigungen, sexistische oder diskriminierende Sprüche haben keinen Platz.
Ich mache keine zweideutigen oder sexualisierten Bemerkungen.
In der digitalen Kommunikation (Messenger, Social Media) wahre ich die gleichen Standards wie im persönlichen Kontakt und kommuniziere transparent.
4. Verantwortung und Grenzen
Ich nutze meine Rolle als Leiter*in niemals aus, um Macht, Vertrauen oder Zuneigung von Kindern und Jugendlichen zu missbrauchen.
Ich gehe verantwortungsvoll mit Geheimnissen um, wahre aber nicht das „falsche Schweigen“: Bei Anzeichen von Kindeswohlgefährdung handle ich sofort nach den vereinbarten Abläufen.
Ich erkenne meine persönlichen Grenzen an und hole mir Hilfe, wenn Situationen meine Kompetenz überschreiten.
5. Prävention und Vorbildfunktion
Ich halte die Regeln zum Schutz von Kindern und Jugendlichen ein (z. B. Jugendschutzgesetz, Alkohol- und Rauchverbot).
Ich achte auf faire, transparente Entscheidungen und beziehe Kinder und Jugendliche altersgerecht ein.
Ich setze mich aktiv gegen Gewalt, Mobbing und Diskriminierung ein und fördere eine Kultur des Hinsehens.
6. Zusammenarbeit im Team
Ich unterstütze die Umsetzung und Weiterentwicklung des Kinderschutzkonzepts.
Ich arbeite eng und vertrauensvoll mit meinen Teamkolleg*innen zusammen.
Ich spreche Unklarheiten oder grenzüberschreitendes Verhalten im Team offen an.
Auch die Gestaltung von Freizeiten oder Gruppenstunden hat eine präventive Wirkung. Das Zwei-Leiter*innen-Prinzip sorgt dafür, dass niemand allein mit einem Kind in einer heiklen Situation ist.
Regeln für Waschräume, Zelte oder Badebereiche verhindern Missverständnisse und schaffen Sicherheit. Und ein konsequentes Verbot von Alkohol, Zigaretten und Drogen schützt nicht nur die Kinder, sondern auch das Klima der gesamten Gruppe.
Besonders wichtig: Kinder müssen ihre Rechte kennen. Wer weiß, dass „Nein sagen“ immer erlaubt ist, wird mutiger, Grenzen zu setzen – und Jugendleiter*innen sind gefragt, dieses Recht immer wieder deutlich zu machen.
10 Fragen für ein wirksames Schutzkonzept in der Jugendarbeit
Wie stellen wir sicher, dass alle Leiter*innen fachlich und persönlich geeignet sind – und welche Nachweise (z. B. Führungszeugnis, Schulungen) verlangen wir?
Welche klaren Regeln zu Nähe, Distanz und respektvollem Umgang sind für unsere Gruppe verbindlich?
Wie gehen wir mit sensiblen Situationen wie Trösten, Körperkontakt oder Kommunikation in sozialen Medien um?
Wie setzen wir das Zwei-Leiter*innen-Prinzip in unseren Gruppenstunden, Ausflügen und Freizeiten konsequent um?
Welche Schutzregeln gelten für Schlafräume, Waschräume, Zelte und Badebereiche?
Wie vermitteln wir Kindern und Jugendlichen ihre Rechte – insbesondere, dass sie jederzeit „Nein“ sagen dürfen?
Welche Vereinbarungen treffen wir zu Alkohol, Zigaretten und Drogen für Leiter*innen und Teilnehmende?
Wie stellen wir sicher, dass Kinder wissen, an wen sie sich mit Sorgen oder Beschwerden wenden können?
Welche internen Abläufe haben wir für den Fall, dass ein Verdacht oder ein Hinweis auf einen Übergriff auftaucht?
Wie überprüfen und aktualisieren wir unser Schutzkonzept regelmäßig, damit es lebendig bleibt und im Alltag wirkt?
⚠️ Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine rechtliche Beratung. Er gibt allgemeine Anregungen und Beispiele für die Praxis der Kinder- und Jugendarbeit. Für rechtssichere Informationen oder konkrete Fragen zum Kinderschutz wendet euch bitte an Fachstellen, euren Verband oder eine juristische Beratung.