In der Jugendarbeit geht es oft um Innovation: neue Formate, kreative Ideen, zeitgemäße Ansätze. Doch mindestens genauso wichtig wie das Einführen neuer Methoden ist das bewusste Beenden alter, nicht mehr wirksamer Angebote – ein Prozess, den man als Exnovation bezeichnet. Während Innovation häufig im Rampenlicht steht, fristet Exnovation noch ein Schattendasein, obwohl sie entscheidend dazu beitragen kann, Ressourcen klug einzusetzen, ehrenamtliche Teams zu entlasten und Raum für neue Entwicklungen zu schaffen.
Dieser Artikel bietet eine fundierte Einführung in das Konzept der Exnovation, zeigt auf, warum es in der Jugendarbeit besonders relevant ist, und stellt praxiserprobte Methoden zur Evaluation und Reflexion von Angeboten vor. Ziel ist es, Unterstützung dabei zu geben, wie man im Team sinnvoll Abschied von wenig wirksamen Formaten nimmt – um Platz für Neues zu schaffen.
- Was bedeutet Exnovation?
- Warum ist Exnovation in der Jugendarbeit relevant?
- Woran erkenne ich, dass ein Angebot nicht mehr wirksam ist?
- Methoden zur Evaluation im Team
- 1. Angebots-Check mit Fragenraster
- 2. Ressourcen-Wirkung-Matrix
- 3. STOPP–WEITER–START-Methode
- 4. Reflexionsrunden mit Exnovations-Fokus
- Fallbeispiel aus der Praxis: Der Jugendtreff am Freitagabend
- Exnovation nach innen und außen kommunizieren
Was bedeutet Exnovation?
Der Begriff Exnovation stammt ursprünglich aus der Innovationsforschung und bezeichnet das gezielte Ausmustern bestehender Praktiken, Strukturen oder Produkte, um Veränderung zu ermöglichen. Während Innovation darauf zielt, Neues zu schaffen, geht es bei Exnovation darum, Altes loszulassen – insbesondere, wenn es nicht mehr den gewünschten Nutzen bringt.
In der Jugendarbeit kann Exnovation bedeuten:
- Langjährige, aber kaum noch besuchte Freizeitformate zu beenden
- Methoden aus dem Programm zu nehmen, die bei Jugendlichen nicht mehr ankommen
- Prozesse im Team zu hinterfragen, die mehr belasten als nützen
- Strukturen abzubauen, die Ressourcen binden, ohne Mehrwert zu schaffen
Warum ist Exnovation in der Jugendarbeit relevant?
1. Ressourcen sind begrenzt
Viele Jugendleiter*innen arbeiten ehrenamtlich oder mit sehr knappem Zeit- und Budgetrahmen. Wenn sich diese Ressourcen auf Angebote verteilen, die kaum Wirkung entfalten, leidet darunter die Qualität anderer, möglicherweise sinnvollerer Aktivitäten.
2. Beteiligung verändert sich
Jugendliche verändern sich – und mit ihnen ihre Interessen, Mediennutzung und Erwartungen. Was vor fünf Jahren gut funktionierte, kann heute wirkungslos sein. Exnovation hilft, sich von gewohnten, aber überholten Formaten zu trennen.
3. Raum für Neues schaffen
Nur wer Altes loslässt, schafft wirklich Platz für neue Ideen. Oft sind Teams „voll“ mit Planungen und Terminen – und scheuen sich davor, etwas zu streichen. Dabei kann genau das der notwendige erste Schritt für Innovation sein.
Woran erkenne ich, dass ein Angebot nicht mehr wirksam ist?
Die Entscheidung, etwas zu beenden, ist nicht leicht – besonders, wenn man viel Zeit und Herzblut investiert hat. Hier einige Anzeichen, dass Exnovation angebracht sein könnte:
- Sinkende Teilnehmerzahlen über einen längeren Zeitraum
- Geringe Rückmeldungen oder kein erkennbarer Mehrwert für Teilnehmende
- Hoher organisatorischer Aufwand im Vergleich zum Nutzen
- Widerwillen oder Überforderung im Team bei der Durchführung
- Veränderte Zielgruppenbedürfnisse, die nicht mehr zum Angebot passen
Tipp: Vermeide reine „Bauchgefühl“-Entscheidungen. Nutze strukturierte Reflexion, um die Wirksamkeit ehrlich zu beurteilen.
Methoden zur Evaluation im Team
Ein zentraler Schlüssel für Exnovation ist die regelmäßige Evaluation von Angeboten und Maßnahmen im Leitungsteam. Dabei helfen einfache, aber wirkungsvolle Methoden. Hier einige Anregungen::
1. Angebots-Check mit Fragenraster
Nehmt euch gezielt einzelne Veranstaltungen oder Methoden vor und beantwortet gemeinsam folgende Fragen:
- Was war das Ziel dieses Angebots?
- Wurde das Ziel erreicht?
- Wie war die Beteiligung? Wie das Feedback?
- Wie viel Aufwand war mit der Durchführung verbunden?
- Würden wir es (so) noch einmal anbieten?
➡️ Tipp: Bewertet die Punkte auf einer Skala von 1–5, um Entscheidungen nachvollziehbarer zu machen.
2. Ressourcen-Wirkung-Matrix
Zeichnet ein Koordinatensystem:
- X-Achse: Aufwand/Ressourceneinsatz (von gering bis hoch)
- Y-Achse: Wirkung/Nutzen (von gering bis hoch)
Tragt eure Angebote dort ein. Was unten rechts landet (hoher Aufwand, geringe Wirkung), ist ein klarer Kandidat für Exnovation.
3. STOPP–WEITER–START-Methode
Diese Methode eignet sich hervorragend für Teamtreffen:
- STOPP: Was wollen wir künftig lassen?
- WEITER: Was läuft gut und soll bleiben?
- START: Welche neuen Ideen wollen wir ausprobieren?
➡️ Tipp: Visualisiert die Ergebnisse auf Karten oder digital in Tools wie Miro oder Mural.
4. Reflexionsrunden mit Exnovations-Fokus
Plant ein bis zwei Mal im Jahr eine gezielte Reflexionssitzung unter dem Motto „Was lassen wir los?“. Wichtige Regeln dabei:
- Kein Rechtfertigungszwang – es geht nicht um Schuld
- Exnovation ist kein Scheitern, sondern verantwortungsvolles Handeln
- Dokumentiert eure Entscheidungen transparent
Fallbeispiel aus der Praxis: Der Jugendtreff am Freitagabend
Ein Verband bietet seit Jahren einen offenen Jugendtreff freitags an. Anfangs kamen 25–30 Jugendliche, zuletzt nur noch 4–6. Trotzdem wurde der Treff weitergeführt – mit viel Aufwand: zwei Ehrenamtliche pro Termin, Raumbuchung, Material, Snacks, Aufsicht.
Reflexion im Team:
- Die Zielgruppe ist gewandert – viele der früheren Teilnehmenden sind inzwischen aus dem Alter raus
- Die verbliebenen Jugendlichen kommen vor allem wegen der Snacks, aber beteiligen sich kaum
- Aufwand und Kosten sind nicht verhältnismäßig
Entscheidung:
Der Freitagstreff wird nach einer letzten Abschlussaktion eingestellt. Die Ressourcen werden stattdessen in ein neues Jugendkino-Projekt gesteckt, das niedrigschwelliger ist und bereits Interesse zeigt.
Exnovation nach innen und außen kommunizieren
Wichtig ist: Exnovation braucht Kommunikation. Besonders, wenn Angebote eingestellt werden, die über Jahre als „Standard“ galten. Tipps zur Kommunikation:
- Im Team: Transparent, begründet und konstruktiv. Exnovation ist keine Kritik an früherer Arbeit.
- Nach außen: Mit Fokus auf Entwicklung und neue Chancen. Erkläre, warum ihr euch von einem Format verabschiedet – und was ihr stattdessen plant.
- An Jugendliche: Wertschätzend und ehrlich. Zeigt, dass ihr euch an ihren Interessen orientiert.
Mut zur Lücke: Exnovation als Teil guter Jugendarbeit
Exnovation ist kein Rückschritt, sondern Ausdruck einer reflektierten, verantwortungsvollen und zukunftsorientierten Jugendarbeit. Wer bewusst Angebote loslässt, die ihre Wirkung verloren haben, handelt klug im Sinne der Teilnehmenden – und des Teams.
Nutze die vorgestellten Methoden, um regelmäßig zu überprüfen, was ihr tut, warum ihr es tut – und ob es weiterhin Sinn ergibt. So bleibt Jugendarbeit lebendig, wirkungsvoll und ressourcenschonend.