Kapitel 1: Leitungsstile verstehen & reflektieren
Souverän leiten – der erste Schritt ist Klarheit über die eigene Haltung
In der Jugendarbeit geht es bei der Leitung um Organisation, Verantwortung, Beziehungsgestaltung und das Schaffen von Räumen für Entfaltung und Wachstum. Leitung bedeutet Präsenz, Authentizität und Entscheidungskraft. Ein klares Verständnis des eigenen Führungsstils ist essenziell, wobei es nicht um Perfektion, sondern um Reflexion, Entwicklung und Anpassung geht. Gute Leitung ist ein individueller, kontextabhängiger und lernbarer Prozess.
Leitungsstile im Überblick
In der pädagogischen Praxis haben sich vier Grundformen von Führungsstilen etabliert: autoritativ, kooperativ, laissez-faire und situativ. Diese dienen als Orientierung, sind jedoch in der Realität oft gemischt einsetzbar – je nach Situation, Gruppenphase und Ziel. Der autoritative Stil kombiniert klare Strukturen mit einer wertschätzenden Beziehung zur Gruppe. Die Leitung entscheidet, achtet aber auf Bedürfnisse – geeignet in konfliktreichen oder diversen Gruppen. Der kooperative Stil setzt auf Partizipation und gemeinsame Entscheidungen. Die Leitung moderiert und teilt Verantwortung – ideal für stabile Gruppen mit Eigeninitiative. Der laissez-faire Stil überlässt der Gruppe viel Freiheit und greift kaum ein. In der Jugendarbeit nur punktuell sinnvoll, beispielsweise bei kreativen Projekten, da junge Menschen meist Struktur brauchen. Der situative Stil passt das Führungsverhalten flexibel an die jeweilige Situation an. Er erfordert Reflexion, Erfahrung und ein gutes Gespür für Gruppenbedürfnisse.
Leitungsstile in der Praxis: Wo was wirkt
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Welcher Stil in der Praxis funktioniert, hängt stark vom Kontext ab: Gruppenzusammensetzung, Alter der Teilnehmenden, Ziel der Maßnahme, aktuelle Dynamik und auch von den eigenen Ressourcen.
Beispiel 1: Ferienfreizeit – erste Tage
Eine neue Gruppe trifft zum ersten Mal zusammen. Die Teilnehmenden kennen sich nicht, Abläufe sind noch unbekannt, Unsicherheiten dominieren. In dieser Phase braucht es einen eher autoritativen Stil: Klare Ansagen, strukturierte Abläufe, deutliche Regeln. Gleichzeitig ist eine empathische, zugewandte Haltung wichtig, um Vertrauen aufzubauen.
Beispiel 2: Projektarbeit mit erfahrenen Jugendlichen
Eine eingespielte Jugendgruppe plant eine Veranstaltung. Die Jugendlichen bringen eigene Ideen ein, sind motiviert und übernehmen Verantwortung. Hier wirkt ein kooperativer Stil stärkend: Die Leitung kann loslassen, begleitet Prozesse, unterstützt bei Bedarf und schafft Raum für Eigenverantwortung.
Beispiel 3: Konflikt in der Gruppe
Zwei Teilnehmende geraten wiederholt in Streit, die Atmosphäre leidet. In dieser Situation braucht es eine Leitung, die aktiv eingreift, Grenzen setzt und Deeskalation verspricht. Ein autoritativer Stil ist angebracht – nicht als Machtdemonstration, sondern als Haltung, die Klarheit, Schutz und Sicherheit vermittelt. Je nach Entwicklung kann später in einen kooperativen Stil übergeleitet werden, etwa bei der Konfliktnachbearbeitung.
Beispiel 4: Kreativphase während einer Gruppenstunde
Die Gruppe arbeitet an einem offenen Thema, es gibt keine festen Vorgaben. Hier kann punktuell ein laissez-fairer Ansatz sinnvoll sein. Die Leitung hält sich zurück, gibt Freiraum, beobachtet aus dem Hintergrund. Wichtig ist, präsent zu bleiben und bei Bedarf unterstützend einzugreifen.
Selbstreflexion: Welcher Stil passt zur eigenen Persönlichkeit?
Gute Leitung beginnt bei der eigenen Person. Sich selbst zu kennen – mit Stärken, Unsicherheiten, Mustern und Werten – ist Grundlage für souveränes Auftreten. Die Frage ist nicht: “Welcher Stil ist der beste?” sondern: “Welcher Stil passt zu mir – und wann muss ich ihn anpassen?”
Einige Leitfragen zur Selbstreflexion:
– Wie viel Kontrolle brauche ich, um mich sicher zu fühlen?
– Fällt es mir leicht, Verantwortung abzugeben oder zu teilen?
– Wie gehe ich mit Unsicherheit in Gruppen um?
– Was bedeutet für mich “Autorität” – positiv wie negativ?
– Welche Erfahrungen habe ich selbst mit Leitung gemacht – als Kind, Jugendliche*r, Mitarbeiter*in?
Sicherheit durch Haltung – nicht durch Lautstärke
In der Jugendarbeit wird Leitung oft mit Durchsetzungsvermögen oder “cooler Autorität” verwechselt. Dabei geht es mehr um innere Klarheit als äußeres Auftreten. Souveräne Leitung zeigt sich darin, in herausfordernden Situationen ruhig zu bleiben, Grenzen zu setzen und gleichzeitig offen für Bedürfnisse zu sein. Eine authentische Haltung, basierend auf Präsenz und Beziehung, ist ideal. Gute Leitung trifft Entscheidungen, steht dafür ein und korrigiert sie bei Bedarf, wenn sie sich als nicht hilfreich erweisen.
Leitungsstile entwickeln – ein dynamischer Prozess
Der eigene Leitungsstil ist kein starres Konstrukt. Er entwickelt sich mit jeder Erfahrung weiter. Anfangs ist Unsicherheit normal – vor allem, wenn man erstmals Verantwortung für eine Gruppe übernimmt. Wichtig ist, sich auf diesen Lernprozess einzulassen, sich Feedback einzuholen und eigene Reaktionen zu reflektieren.
Erfahrung allein macht noch keine gute Leitung aus – entscheidend ist die Bereitschaft zur Weiterentwicklung. Auch Routinen sollten regelmäßig hinterfragt werden: Reagiere ich noch angemessen auf die Gruppe oder folge ich Automatismen? Bin ich offen für neue Impulse oder versuche ich, Kontrolle zu behalten?
Souveränität entsteht durch das Zusammenspiel aus Selbstkenntnis, situativer Anpassung und der Fähigkeit, auch in stressigen Momenten innerlich stabil zu bleiben. Dazu gehören auch professionelle Werkzeuge – wie Kommunikationstechniken, Konfliktmanagement oder Methoden der Gruppenpädagogik – auf die in späteren Kapiteln dieses Kurses eingegangen wird.
Reflexionsfragen für die Praxis
– In welchen Situationen fühle ich mich in der Leitungsrolle besonders sicher – und warum?
– Welche Situationen bringen mich aus dem Gleichgewicht? Wie reagiere ich dann?
– Welcher Leitungsstil entspricht meiner Persönlichkeit am meisten?
– Wo bin ich bereit, meinen Stil bewusst zu verändern?
– Welche Haltung möchte ich als Leitungsperson in meiner Gruppe verkörpern?