Schwierige Gespräche meistern: Mit Kindern und Jugendlichen über Krisen sprechen

3. Praktische Gesprächsstrategien: Altersgerechte Kommunikation über Krieg, Anschläge & Krisen

Kinder und Jugendliche mit schwierigen Themen nicht allein zu lassen, ist eine zentrale Aufgabe in der Jugendleitung. Gespräche darüber können Unsicherheit, Angst und viele Fragen auslösen – sowohl bei jungen Menschen als auch bei den Erwachsenen, die sie begleiten. Umso wichtiger ist es, Gespräche bewusst zu führen: ehrlich, klar, altersgerecht und empathisch. Dieses Modul bietet eine fundierte Einführung in konkrete Kommunikationsstrategien und zeigt, wie Gespräche gelinge, auch wenn keine einfachen Antworten vorhanden sind.

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Wie viel Wahrheit ist kindgerecht? 

Die Frage, wie viel Kinder und Jugendliche über Krisen wissen sollten, ist zentral. Zu viel Information kann überfordern, zu wenig verunsichern. Die Balance liegt im “altersgerechten Wahrsprechen”: Sachlich bleiben, ehrlich sein, aber gleichzeitig Sicherheit vermitteln. Kinder merken intuitiv, wenn Erwachsene ausweichen oder beschönigen. Das kann Misstrauen fördern. Eine klare, ruhige Sprache, die schwierige Begriffe erklärt und Emotionen benennt, hilft, Orientierung zu geben. Wichtiger als Details ist dabei das Gefühl: “Du bist nicht allein mit deiner Sorge, und du darfst darüber sprechen.”

Jüngeren Kindern reicht es oft, wenn sie wissen: “Ja, es gibt manchmal schlimme Dinge in der Welt. Aber viele Menschen kümmern sich darum, dass wir sicher sind.” Ältere Jugendliche hingegen stellen gezieltere Fragen. Ihnen kann man mehr Hintergrundinformationen geben, sollte jedoch auf Fakten achten und Verschwörungsnarrative klar einordnen. In allen Altersgruppen gilt: Gespräche sollten Sicherheit und Vertrauen vermitteln – nicht Angst schüren oder dramatisieren.

Gesprächstechniken: Zuhören, einfühlsame Sprache, ehrliche Antworten

Eine der wichtigsten Fähigkeiten in Gesprächen über Krisen ist das aktive Zuhören. Das bedeutet: nicht sofort antworten, sondern erst einmal wahrnehmen, was das Kind oder der*die Jugendliche ausdrücken will. Kinder sprechen über Gefühle oft indirekt, etwa durch Fragen, Fantasiegeschichten oder Verhalten (z. B. plötzliches Schweigen, vermehrtes Spielen mit dem Thema “Krieg”). Erwachsene sollten diese Signale ernst nehmen und geduldig aufgreifen.

Ein Gespräch beginnt nicht mit der eigenen Meinung, sondern mit einer offenen Haltung. Fragen wie “Was hast du davon gehört?”, “Was beschäftigt dich daran am meisten?” oder “Wie fühlt sich das für dich an?” öffnen den Raum für Reflexion. Die Sprache sollte dabei ruhig, klar und empathisch sein. Fachbegriffe, Abkürzungen oder emotionale Übertreibungen gilt es zu vermeiden.

Wichtig ist auch die eigene Haltung: Wer Gespräche mit innerer Ruhe, Offenheit und ohne Zeitdruck führt, schafft ein Klima, in dem Kinder und Jugendliche sich trauen, auch schwierige Fragen zu stellen.

Ehrlich, aber beruhigend: das Prinzip der “sicheren Wahrheit”

Viele Erwachsene scheuen sich davor, “zu ehrlich” zu sein, weil sie keine Ängste wecken wollen. Dabei brauchen Kinder und Jugendliche keine perfekten Antworten, sondern glaubwürdige Menschen. Der Begriff “sichere Wahrheit” beschreibt eine Kommunikationsweise, die nichts beschönigt, aber Halt bietet. Das bedeutet zum Beispiel:

“Ja, es gibt Krieg in anderen Ländern. Aber in Deutschland ist es gerade sicher und sehr viele Menschen setzen sich dafür ein, dass das so bleibt.”

“Es stimmt, dass es Naturkatastrophen gibt. Gleichzeitig gibt es viele Forscher*innen, die herausfinden wollen, wie man besser vorsorgen kann.”

Solche Aussagen erkennen das Problem an, aber sie verankern es gleichzeitig in einem Kontext von Handlungsmöglichkeit und Sicherheit. Kinder brauchen beides: die Wahrheit – und das Wissen, dass Erwachsene für sie da sind.

Umgang mit eigener Unsicherheit

Nicht selten sind Jugendleiter*innen selbst betroffen oder verunsichert durch das, was in der Welt geschieht. Auch das ist menschlich. Wichtig ist: Unsicherheit darf benannt werden, solange sie nicht auf die Kinder übertragen wird. Eine gute Formulierung lautet z. B.: “Ich finde das auch beunruhigend. Und trotzdem glaube ich, dass es hilft, wenn wir darüber reden.”

Professionell zu handeln bedeutet nicht, alles zu wissen. Es gilt, eine sichere Haltung zu bewahren, sich selbst zu regulieren und gegebenenfalls auch eigene Pausen zu erkennen. Wer merkt, dass bestimmte Gespräche emotional zu nahegehen, sollte sich selbst unterstützen lassen – durch Kolleg*innen, Supervision oder Fortbildung.

Medienkompetenz als Schutzfaktor in Gesprächen

Kinder und Jugendliche begegnen vielen Krisenthemen über Medien – oft ungefiltert. Ein TikTok-Video, eine Pushnachricht, ein Bild auf Instagram: Das kann stark emotionalisieren. Ein zentraler Teil von Gesprächen ist daher die Medienreflexion. Fragen wie “Woher hast du das erfahren?”, “War das eine Nachrichtenseite oder jemand, der seine Meinung sagt?” oder “Wie ging es dir nach dem Video?” helfen, Medieninhalte einzuordnen.

Es geht nicht darum, Mediennutzung zu verbieten. Im Gegenteil: Kinder und Jugendliche sollten befähigt werden, kritisch zu hinterfragen. Jugendleiter*innen geben hier wichtige Impulse beispielsweise durch gemeinsames Anschauen von Nachrichten mit Erklärungen oder durch kreative Methoden, um Falschinformationen zu erkennen (z. B. Fake-News-Detektiv spielen).

Den Gesprächsraum gestalten: Ort, Zeit, Setting

Ein gutes Gespräch braucht mehr als Worte. Auch der Rahmen ist entscheidend: Ist es ein ruhiger Moment? Fühlt sich das Kind sicher? Gibt es einen Weg, das Gespräch zu beenden oder zu vertiefen? Gerade bei Gruppenangeboten sollten Gelegenheiten geschaffen werden, in kleinen Settings zu sprechen. Vertrauen entsteht oft im geschützten Raum, nicht in der großen Runde. Ein offenes Ohr anzubieten heißt nicht, jedes Gespräch zu forcieren. Vielmehr geht es darum, verfügbar zu sein, klar zu signalisieren: “Wenn du reden möchtest, bin ich da.”

Sprachliche Stolperfallen und wie man sie vermeidet

Manche gut gemeinten Formulierungen verunsichern. Aussagen wie “Du brauchst keine Angst zu haben” klingen beruhigend, wirken aber entwertend, wenn das Kind sehr wohl Angst empfindet. Besser ist: “Ich verstehe, dass du Angst hast. Das ist okay.”

Auch Ratschläge wie “Denk einfach nicht so viel darüber nach” helfen selten. Sie blockieren die Verarbeitung. Stattdessen sollten Aussagen ermutigen: “Du darfst deine Gedanken teilen. Das hilft oft, damit umzugehen.”

Wenn Gespräche ins Stocken geraten: Kreative Methoden nutzen

Nicht jedes Kind will oder kann über Krisen sprechen. Gerade dann helfen kreative Ausdrucksformen: Malen, Schreiben, Collagen erstellen, Rollenspiele. Auch symbolisches Arbeiten mit Farben, Karten, Bildern leitet eine indirekte Auseinandersetzung ein. Gespräche müssen nicht immer verbal sein. Wichtig ist die Haltung: ausdrücken dürfen, was innerlich bewegt.

Checkliste: Altersgerechte Gespräche in Krisenzeiten führen
– Kinder und Jugendliche dort abholen, wo sie stehen: Was wissen sie schon? Was beschäftigt sie?
– Altersgerechte, ehrliche Informationen geben, ohne zu dramatisieren
– Aktives Zuhören: Fragen stellen, Gefühle spiegeln, nonverbale Signale ernst nehmen
– Eigene Unsicherheiten benennen, ohne Verantwortung abzugeben
– Medieninhalte gemeinsam reflektieren und einordnen helfen
– Sicherheit vermitteln, ohne falsche Versprechen zu machen
– Gesprächszeit und -ort bewusst wählen
– Kreative Ausdrucksformen als Alternativen anbieten
– Rücksicht auf Gruppendynamik nehmen: nicht alle Gespräche passen in große Runden
– Bei Bedarf Gespräche vertagen oder professionell unterstützen lassen

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Autor*in

Daniel
Daniel
Hallo, schön, dass du hier vorbeischaust. Ich bin der Kopf hinter dem Jugendleiter-Blog und bin seit über 10 Jahren in der Jugendarbeit aktiv, habe viele Jahre einen Verband geleitet und blogge hier über meine Erfahrungen aus mehr als 100 Freizeittagen und 200 Gruppenstunden. Meine besten Spiele und Ideen sind als Bücher erschienen.