Warum ist die mentale Gesundheit ein Thema für die Jugendarbeit?
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Jugendliche waren schon immer in der Pubertät besonders vielen Herausforderungen ausgesetzt. Nicht nur die Unsicherheiten, welche die Veränderungen des eigenen Körpers bedeuten können, sondern auch der langsame Abnabelungsprozess von den Eltern und das Sammeln von neuen Erfahrungen als heranwachsendes Individuum. Gleichwohl wurde die Schwierigkeit der Herausforderungen in den letzten Jahrzehnten immer stärker. Ein ausschlaggebender Treiber hierbei sind auch die sozialen Medien, die den Jugendlichen gemachte Normen vorgeben und dadurch Druck ausüben und surreale Realitäten vorspielen. Kombiniert wird dies mit unerreichbaren Körperidealen, die durch Stars auf Social Media propagiert werden. Der Druck der Vergleichbarkeit und der Zwang zur Makellosigkeit ist in Zeiten von Tik Tok und Instagram so groß wie nie – ebenjene Plattformen, die insbesondere von Jugendlichen dominiert werden. Plattformen, welche 85 Prozent der Jugendlichen in Deutschland tagtäglich laut einer im Jahr 2017 durchgeführten repräsentativen Befragung der forsa Gesellschaft für Sozialforschung.
Doch gleichzeitig ist die mentale Gesundheit für die Jugendarbeit auch fernab sozialen Drucks wichtig, wenn es um den Funktionsfähigkeitsdruck geht, der die Jugendlichen in Schule und Ausbildung betrifft. Ähnlich wie bei den Erwachsenen besteht auch hier der gemachte Druck, immer die volle Arbeitsfähigkeit abrufen zu können. Die Jungendarbeit spielt eine wichtige Rolle, da hier Jugendliche ähnlichen Alters zusammenkommen und kein Klima des Drucks herrscht. Daher kann gezielt mit Instrumenten gearbeitet werden, die den Wert des Verschiedenseins und die Besonderheit jeder einzelnen Person aufzeigen. Die Jugendarbeit kann als Hort der Sicherheit fungieren, als Safe Space für die Jugendlichen.
Leider wird das Thema der mentalen Gesundheit noch immer nicht in einem ausreichenden Maße im schulischen Kontext thematisiert. Auch im familiären Zusammenhang schwebt noch immer die tabuisierende Wolke des Stigmas über die meisten Themen, welche die mentale Gesundheit betreffen. Selbstverständlich gilt dies nicht für jede Schule und jede Familie, doch noch immer ist die Thematik der mentalen Gesundheit unterrepräsentiert. Die Jugendarbeit kann es sich daher zur Aufgabe nehmen, Aufklärung und Wissen rund um das Thema der mentalen Gesundheit aufzugreifen und für die Jugendlichen zugänglich zu machen. Verschiedene Methoden hierfür werden später folgend präzise erläutert.
Strategien, um die mentale Gesundheit zu schützen, werden zumeist sogar noch weniger als das Thema der mentalen Gesundheit selbst im öffentlichen Diskurs behandelt. Dabei können Strategien wie Achtsamkeitsübungen, Meditation, Yoga oder Atemübungen effektive Möglichkeiten sein, um einfach mal abzuschalten und sich Ruhe und Zeit zu nehmen, um sich zu erden und aus unangenehmen Kontexten zu entfliehen. Problematisch wird es jedoch dann, wenn wie nochmals verstärkt in der Lockdownzeit durch ein allgemeines Krisentief und berufliche Existenzängste, Kinder und Jugendliche Opfer von häuslicher Gewalt werden. Die besonders fragile Zeit der Pubertät macht Jugendliche zu einer sehr vulnerablen Gruppe, bei denen problematische Zustände in den eigenen vier Wänden bleibende Traumata zur Folge haben können. Auch deswegen ist es wichtig, dass ein Thematisieren von mentalen Beschwerden und ihren Indikatoren stattfindet. Wenn ihr in der Jugendarbeit daneben auch noch eine sichere, vertrauensvolle Atmosphäre für Kommunikation und Austausch schafft, dann fühlen sich die Jugendlichen bei euch nicht nur wohl, sondern auch sicher. Ihr könnt also in der Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag leisten, um eure Teilnehmer*innen nicht nur zu informieren, sondern sie im Rahmen der Jugendarbeit mit Austausch und einem offenen Ohr zu unterstützen und der Anker zu sein, der ihnen sonst vielleicht gerade am meisten fehlt.
Außerdem bietet die Jugendarbeit einen Ort, in der sich die Teilnehmer*innen freier als in der Schule äußern können, da in der Schule zumeist ein geringeres Vertrauensverhältnis von Schüler*innen zu Lehrer*innen herrscht als in der Jugendarbeit von den Teilnehmer*innen zu euch als Jugendgruppenleiter*innen. Somit habt ihr unter dem Einsatz entsprechender Methoden viele Möglichkeiten, um mit den Jugendlichen nicht nur das Wichtigste zum Thema der mentalen Gesundheit zu besprechen, sondern gleichzeitig auch auf eine persönliche Ebene zu gehen. Viele Jugendliche fühlen sich mit ihren Problemen allein und missverstanden. Dass auch erwachsene Menschen in Ihrer Jugend mit Problemen oder einer instabilen Gesundheit zu kämpfen hatten und dies kein Grund zur Scham ist, klingt für viele Jugendlichen erst einmal seltsam. Doch wenn ihr als Jugendleiter*innen euch und Erfahrungen von Freund*innen den Teilnehmer*innen präsentiert, dann sehen auch die Jugendlichen die Vulnerabilität von Menschen in Ihrer Psyche im Allgemeinen – sie fühlen sich eher verstanden.
Mehr und mehr wird das Thema der mentalen Gesundheit auch in die Mitte der Gesellschaft, mitten in den öffentlichen Fokus, getragen. Doch dies erreicht auf diskursiver Ebene zumeist nur die Erwachsenen, die Jugendlichen erhalten jedoch sowohl auf Social Media als auch in der Schule tendenziell eher wenig Unterstützung und Aufklärung, was die mentale Gesundheit betrifft. Gleichzeitig gelten eben jene Orte als Treiber von psychischen Erkrankungen, da z.B. in der Schule durch Gruppenzwang und Perfektionsziele Essstörungen auftreten können und Jugendliche durch Mobbing auf Social Media Depressionen bekommen können oder im schlimmsten Fall sogar Suizid begehen. Daher ist es eine ganz besondere Chance für die Jugendarbeit, die Jugendlichen über die Wichtigkeit von mentaler Gesundheit zu informieren und das Thema in der Jugendarbeitspraxis zu enttabuisieren.