Fantasiereise für Jugendliche: Das Haus hinter dem Regen (Verlust und Trauer)

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Du gehst durch einen endlosen Regen. Nicht kalt, nicht stürmisch, eher wie ein feiner Schleier, der dich einhüllt. Jeder Tropfen fühlt sich an wie ein Gedanke, eine Erinnerung, eine Frage, auf die es keine Antwort gibt. Der Regen ist kein Gegner. Er ist da. Einfach da.

Du weißt nicht, wie lange du schon gehst. Vielleicht Minuten, vielleicht Jahre. Doch plötzlich siehst du ein Haus in der Ferne. Es steht auf einem Hügel, leuchtet sanft durch den Regen. Die Fenster flackern warm, als hätte das Haus selbst ein Herz. Du näherst dich langsam.

Die Tür öffnet sich, ohne dass du sie berührst. Drinnen ist es still. Nicht leer, sondern still wie ein Ort, der lange gewartet hat.

An den Wänden hängen Bilder. Du erkennst sie sofort. Momente aus deiner Vergangenheit. Lachen. Umarmungen. Augenblicke mit einem Menschen, der nicht mehr da ist. Jemand, den du geliebt hast. Jemand, den du vermisst, oft still, manchmal laut, immer irgendwie.

Du gehst von Raum zu Raum. Jeder Raum fühlt sich wie eine Erinnerung an. In einem riecht es nach Kuchen, in einem anderen nach frischer Wäsche. In einem hörst du ein leises Summen. Ein Lied, das euch verbunden hat. Du bleibst kurz stehen, legst eine Hand auf einen alten Sessel. Es fühlt sich an, als würdest du dich selbst berühren, dein früheres Ich, in einem Moment der Nähe.

Dann findest du ihn. Oder sie.

Nicht so, wie du sie zuletzt gesehen hast. Sondern so, wie du sie am liebsten erinnerst. Lächelnd. Ruhig. Da. Kein Schmerz im Gesicht, keine letzten Worte. Nur Präsenz. Ihr steht euch gegenüber. Kein Wort. Du willst schreien. Weinen. Festhalten. Fragen. Aber du tust nichts davon. Du stehst nur da. Und dann flüstert die Person:

“Du darfst traurig sein. Aber du darfst auch weitergehen.”

Du willst widersprechen. Willst sagen, dass du nicht kannst. Dass du nicht weißt, wie. Doch da ist ein Blick, der alles sagt. “Ich bleibe bei dir, nur anders.”

Die nächste Tür führt dich in einen Garten. Der Regen hat aufgehört. Die Luft riecht nach Neuanfang. In der Mitte des Gartens steht ein Baum, an dem kleine Glöckchen hängen. Jedes Glöckchen steht für eine Erinnerung. Für etwas, das bleibt, wenn alles andere geht.

Du nimmst eines in die Hand. Es klingt leise, fast wie ein Flüstern. Und du erinnerst dich an einen Satz, den ihr oft gesagt habt. An einen Witz, der euch zum Lachen gebracht hat. An ein Gefühl, das nicht verloren ist. Nicht durch Zeit. Nicht durch Abschied.

“Trauer ist kein Tunnel”, sagt eine Stimme. “Sie ist ein Weg. Und du darfst ihn in deinem Tempo gehen.”

Du setzt dich unter den Baum. Der Himmel über dir ist noch grau, aber nicht mehr bedrohlich. Neben dir liegt ein Stein. Darauf steht:

“Loslassen heißt nicht vergessen. Es heißt, das Herz zu öffnen für das, was bleibt.”

Du schließt die Augen. Atmest tief ein. Und spürst. Nicht Schmerz, sondern Weichheit. Nicht Leere, sondern Raum. Für Erinnerungen. Für Dankbarkeit. Für dich.

Als du die Augen wieder öffnest, stehst du erneut im Regen. Doch diesmal trägst du ein Licht bei dir. Kein grelles, sondern ein stilles. Es wärmt dich von innen. Du gehst los, nicht weg vom Haus, sondern weiter. Mit dem, was du erlebt hast. Und mit dem Wissen, du bist nicht allein.

Als du erwachst, liegt Stille im Raum. Aber du fühlst dich nicht mehr gefangen. Du erinnerst dich. An das Lächeln. Die Nähe. Die Stimme. Und an das Glöckchen im Wind.

Vielleicht wirst du heute weinen. Vielleicht wirst du lächeln. Vielleicht beides. Und beides ist in Ordnung.

Denn in dir wächst ein Garten. Mit einem Baum, der niemals vergeht.

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Daniel
Daniel
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